„Am
Horizont bricht der Morgen an. Unterhalb der waldbedeckten Berge des
herbstlichen Südschwarzwaldes liegen weiße Nebelbänke in den Tälern.
(...) Noch trifft das Licht der ersten Sonnenstrahlen vereinzelt durch
die dunklen Tannen auf den Boden des Waldes. Der Nebel löst sich
langsam auf. Umragt von moosbewachsenen Felsen stürzt ein Wasserfall in
einen kleinen See. Wild beim Grasen auf einer Lichtung. Eine Eule sitzt
auf einem Ast. (...) Auf den Anhöhen der Täler stehen abgelegene
Bauernhöfe. Eine alte Bäuerin erzählt Sagen aus dem Schwarzwald und
berichtet über die wichtigen Rituale, die eine gute Ernte, eine
erfolgreich Milchproduktion und Glück für Unternehmungen erfordern. Wir
erfahren, wie diese überlieferten Geschichten die Menschen in der
Region von jeher geprägt haben.“ [1]
Mit
diesen stimmungsvollen Bildern soll – wenn es nach dem Willen des
Berliner Filmemachers Gerhard Weber geht – ein Film über den
Schwarzwald und seine eigenartige Häufung spiritueller Gruppen
beginnen, in denen sich Menschen auf die Sinnsuche begeben. „Der
Schwarzwald“, so heisst es im Exposé des Films, „ist zu einem
mitteleuropäischen Zentrum dieser Sinnsuche geworden. Er hat mit seinen
Kultstätten und Überlieferungen als Glaubenszentrum eine Jahrtausende
alte Geschichte und eine landschaftlich mythische Ausstrahlung.“ [2]
Wie kam Gerhard Weber überhaupt auf die Idee, über den Schwarzwald
unter diesem Aspekt einen Film zu drehen? Kurz vor Weihnachen 2004
erschien in der Zeitung „Sonntag Aktuell“, die vor allem im nördlichen
Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz gelesen wird, ein Artikel mit
dem Titel „Im Land der Elfen und Schamanen“. Darin wusste die
Reporterin Susanne Stiefel Wundersames zu berichten:
„Natürlich
gibt es hier Elfen und Gnome. Sie helfen bei der Gartenarbeit, sind
etwa so groß wie der deutsche Gartenzwerg und fühlen sich in dessen
Gegenwart pudelwohl. Weshalb die bunten Skulpturen deutscher
Glückseligkeit auch großzügig verteilt sind rings um das imposante
Schwarzwaldhaus, das seine Bewohner schlicht ‚Heiligtum’ nennen. ‚Ja
natürlich’, sagt die junge Frau im weißen Kleid und lächelt
selig-wissend, ‚Elfen und Gnome sind Wesenheiten, die es wirklich gibt.
Wussten Sie das nicht?’ Nicht wirklich. Aber vielleicht muss man erst
nach Lindau in den tiefsten Schwarzwald reisen, wo Uriellas Orden Fiat
Lux seinen Stammsitz hat, um auf solche Wissenslücken zu stoßen. Oder
auf Menschen, die das alles glauben wie die freundliche, junge
Anhängerin dieser Sekte. Da sitzt sie in der Rohkost-Eremitage des
Ordens, wo Gäste empfangen werden, so sie sich hierher verirren, was so
gut wie nie passiert. Und serviert Kräutertee, luftgetrocknete
Dinkelplätzchen und als Beweis für die Existenz der Elfen im
Schwarzwald – eine Geschichte. Es war einmal, in diesem Sommer,
bekräftigt die sanfte Frau in Weiß, da hat eine Mitschwester bei der
Gartenarbeit ihr Kreuz verloren. Sie suchte und suchte und klagte den
Zwergen, Elfen und Gnomen, wie viele Erinnerungen an dieses
Schmuckstück geknüpft seien, ach, und wie schmerzhaft der Verlust. Nach
drei Tagen fand sie ihr Kreuz an einer Stelle, die sie schon mehrfach
abgesucht hatte, auf einem Stein, wie ein Geschenk drapiert. ‚Es gibt
hier eben besondere Schwingungen’, sagt die junge Frau zum Abschied und
strahlt mit den rosa Engelchen und künstlichen Blümchen in der
Eremitage um die Wette. Tatsache ist, dass sich allerlei
Schwingungsempfängliche hier gerne ansiedeln. (...)
Es gibt christlich-fundamentalistische Splittergruppen wie die
Schwestern vom kostbaren Blut Mariens in Häusern oder eben den weiß
gewandeten Orden Fiat Lux in der Gemeinde Ibach. Fiat Lux mit Chefin
Uriella an der Spitze ist übrigens der Sektenstar hier im Schwarzwald.
Seit sie in die schwarzen Wälder gezogen sind, heisst Ibach nur noch
Fiat-Lux-Town, weil Uriella von hier aus ihr Weihwasser verkauft, das
angeblich so prima heilen soll. Es gibt esoterische Zentren wie in
Todtmoos-Rütte um den Psychologen und Esoteriker Karlfried Graf
Dürkheim. Oder verschiedenste buddhistische und hinduistische
Selbsterkennungstreffs wie in Todtnau oder Breitenfeld oder
Remetschwiel. Auch der Buddhist und „Tatort“-Kommissar Eberhard Feik
alias Thanner fand im Hochschwarzwald seinen Frieden. Die
Sektenbeauftragten können gar nicht so schnell schauen, wie diese
Zirkel gegründet und wieder aufgelöst werden. Die Suche nach dem Sinn
des Lebens ist rastlos. Im Schwarzwald hat sie einen Ort gefunden.“ [3]
|
Soweit
Susanne Stiefel in ihrem – vielleicht haben Sie’s gemerkt – etwas
sensationsheischenden und im Übrigen nicht einmal besonders gut
recherchierten Artikel.
Gleichwohl
stellt sich die Frage: Ist der Schwarzwald ein Sekten-Paradies? Denn es
ist in der Tat kaum zu leugnen, dass hier die Zahl spiritueller
Grüppchen und esoterischer Zentren höher liegt als in anderen Gegenden
der Bundesrepublik. Bevor wir die Frage beantworten können, ist es
jedoch vielleicht sinnvoll, zunächst einmal zu klären, was unter
wissenschaftlichem Aspekt eigentlich unter einer Sekte verstanden wird.
Denn vieles, was am Stammtisch oder sonst wo leichtfertig als „Sekte“
bezeichnet wird, ist gar keine. Die Unsicherheit jedenfalls ist gross
und deshalb werden Weltanschauungsbeauftragten und sogenannten
Sektenexperten immer wieder nach „Sekten-Listen“ gefragt – also einer
Zusammenstellung aller Gruppierungen von A bis Z und wohlmöglich noch
nach Gefährlichkeit klassifiziert. Doch da muss ich Sie gleich
enttäuschen: solche Listen gibt es nicht und sie wären auch nicht
sinnvoll. Denn zum einen ist die religiöse Landschaft dauernd in
Bewegung: Gruppen werden neu gegründet und verschwinden, benennen sich
um oder schliessen sich mit anderen Gruppen zusammen. Zum andern ist
auch das Innenleben einer religiösen Organisation dynamisch: die eben
noch harmlose Freikirche kann sich in ein paar Jahren zu einer
radikalen Sekte wandeln, umgekehrt gibt es Entwicklungen, die das
Sektenpotenzial reduzieren. Ein Beispiel: Die „Neuapostolische Kirche“
war bis vor wenigen Jahren eine klassische Sekte. Mittlerweile hat sie
sich jedoch einem ökumenischen Dialog mit den beiden grossen
Landeskirchen geöffnet und zahlreiche interne Reformen eingeleitet, die
den Schluss zulassen, dass hier eine regelrechte „Ent-Sektung“
stattfindet. Ähnliches hat bei den „Siebenten-Tags-Adventisten“
stattgefunden.
Es
gibt also zwar keine „Sekten-Listen“, es gibt aber sehr wohl Kriterien,
die es ermöglichen, eine Gruppe danach zu beurteilen, ob sie die
Strukturen einer Sekte aufweist oder nicht. Was also ist eine Sekte,
was sind Merkmale einer Sekte? Der Ursprung des Wortes „Sekte“ ist
nicht ganz klar: Es stammt entweder vom lateinischen „sequi“
(nachfolgen) oder vom ebenfalls lateinischen „secare“ (abschneiden,
abtrennen). Beide Herleitungen helfen, den Begriff „Sekte“ näher zu
definieren: Es handelt sich um Nachfolgegemeinschaften, die sich von
einer anderen Gruppierung abgetrennt haben.
In
diesem Sinne lässt sich das frühe Christentum durchaus als Sekte
bezeichnen: als eine Nachfolgegemeinschaft, die sich vom Judentum
abgetrennt hat. Problematisch an diesem theologischen Sektenbegriff ist
jedoch, dass er für zahlreiche heutige Gruppierungen nicht mehr greift.
Die berühmt-berüchtigte Scientology-Organisation etwa ist eine Sekte,
die nicht aus einer Abspaltung hervorgegangen ist. Sinnvoller ist es
deshalb, einen soziologischen Sektenbegriff anzuwenden.Demnach sind
Sekten Organisationen,
die klar auf eine Führerpersönlichkeit und dessen
Ideologie ausgerichtet sind,
ihre Anhänger eng an die Organisation und deren Heilskonzept binden,
kein oder nur ein begrenztes soziales oder diakonisches Engagement
entwickeln,
sich von einer feindlichen Welt umringt sehen,
den Anspruch haben, dass nur sie allein über das richtige Heilskonzept
verfügen,
mehr oder weniger immun gegen Kritik von innen und aussen sind
sowie Kritiker, Abtrünnige und Aussteiger diffamieren bzw. im
Extremfall sogar bedrohen.
Eines darf dabei nicht übersehen werden: diese Definition ist eine
Definition von aussen, keine einzige Sekte würde sich selbst als
„Sekte“ bezeichnen. Und es ist daher ein Begriff, der einen klar
negativ wertenden Charakter hat. Ihn anzuwenden sollte also immer nur
mit grosser Vorsicht und Zurückhaltung erfolgen. Angesichts der
zunehmenden Zersplitterung der religiösen Landschaft ist sogar die
Frage gestellt worden, ob es noch Sinn macht, von „Sekten“ zu sprechen.
Die
Religionswissenschaft ist hier in einer anderen Position als die
kirchliche Beratungs- und Aufklärungsarbeit. Die Religionswissenschaft
kann es bei einer reinen Beschreibung belassen, sie muss keine
Wertungen vornehmen. Die kirchliche Beratungs- und Aufklärungsarbeit,
die sich heutzutage als eine Art „spiritueller Konsumentenschutz“
versteht, muss jedoch gerade im Interesse des Schutzes sagen können,
was ist – mag dies für die betroffene Gruppe auch noch so störend und
unbequem sein.
Begutachtet
man unter den gerade genannten Kriterien Uriellas sogenannten „Orden
Fiat Lux“ ist ganz klar, dass es sich bei dieser Gruppierung um eine
Sekte handelt. Denn: ·
Fiat
Lux ist eindeutig und ausschliesslich auf Uriella und ihre (angeblich
von Jesus stammenden) Botschaften ausgerichtet. ·
Durch die Aufgabe des eigenen Namens, des bisherigen sozialen Umfelds
und z.T. sogar des bisherigen Wohnorts sowie den Verzicht auf
Massenmedien werden die Anhänger eng an den „Orden“ gebunden. ·
Kritiker wie Friedrich-Wilhelm Haack, Felix Kuballa, kirchliche
Weltanschauungsbeauftragte und Vertreter des Staates, die gegen Fiat
Lux vorgehen, werden als Handlanger des Bösen gesehen. [4] ·
Fiat Lux nimmt für sich in Anspruch, das einzig wahre Christentum (ein
„wahres Urgeistchristentum“ [5] zu leben. ·
Kritik innerhalb von Fiat Lux ist unmöglich, wer Uriella in Frage
stellt, stellt den Heiland in Frage, ist also „böse“ und damit eine
Gefahr für die Gemeinschaft, was den Ausschluss nach sich ziehen kann.
·
Aussteiger wurden zumindest von führenden Fiat Lux-Mitgliedern oft in
eindeutig negativer Weise dargestellt.
Der
mediale Rummel, der über Ibach und z.T. auch Waldshut immer mal wieder
hereinbrach, ist sicher nicht ganz unschuldig am Image des Schwarzwalds
als vermeintliches Sekten-Paradies. „Fiat Lux“ wurde von Uriella alias
Erika Bertschinger, geb. Gessler, Jahrgang 1929, zwar schon im Januar
1980 gegründet, erregte in unserer Region aber erst Aufmerksamkeit, als
die Gruppierung zwischen 1984 und 1988 mehrere Häuser im Görwihler
Ortsteil Strittmatt erwarb bzw. baute und es zu Auseinandersetzungen
über eine Windkraftanlage kam, die bei einem der Strittmatter Fiat
Lux-Häuser errichtet werden sollte. Es wurde immer wieder behauptet,
Uriella habe von Jesus mitgeteilt bekommen, dass man sich in Strittmatt
wegen der fünf „t“ im Ortsnamen („t“ als Kreuzessymbol) niederlassen
solle. Dies scheint aber nicht zu stimmen. Icordo hat mir gegenüber
einmal geäussert, dass man den Hotzenwald als Refugium erwählt habe,
weil hier das „Herzchakra des Erdgeistes“ verlaufe und diese Gegend
daher ein besonderer Kraftort sei, der auch die von Uriella
vorhergesagten apokalyptischen Katastrophen unbeschadet überstehen
werde. Im September 1990 bekam Uriella (wiederum angeblich vom Heiland)
den Auftrag, nach Deutschland zu „dislozieren“. Dort hatte man
inzwischen im Ibacher Weiler Lindau den ehemaligen Gasthof „Adler“
erworben. Er wurde aufwendig renoviert und ausgebaut und diente Fiat
Lux „Heiligtum“, in dem Uriella ihre Offenbarungen erhielt und Seminare
veranstaltet wurden. Ausserdem betreibt der „Orden“ dort ein
vegetarisches Restaurant.
Inzwischen
ist es, wie Sie vermutlich alle wissen, sehr ruhig um Uriella geworden.
Vorbei sind die schrillen Auftritte in den Medien, denn Uriella scheint
schwer krank zu sein bzw. gewesen zu sein. Die Offenbarungstätigkeit
ist weitgehend eingestellt und heftige innere Konflikte haben dazu
geführt, dass der „Orden“ zahlenmässig ziemlich geschrumpft ist.
Neulich, zum 78. Geburtstag, hat Uriella zwar nochmals ein
Lebenszeichen von sich gegeben, aber man kann wohl trotzdem davon
ausgehen, dass der „Orden“ in einer recht grossen Agonie vor sich
hinsiecht. Den Ibachern kann dies nur recht sein. Sie hätten „darunter
gelitten, dass sie auf Fiat Lux reduziert wurden, erzählt Bürgermeister
Meiners“ der „Badischen Zeitung“: ‚Wenn du irgendwohin gekommen bist,
hieß es nur: Ach, da ist doch Fiat Lux! Das war halt einfach immer
anstrengend.’" [6] Zu diesem Bericht in der „Badischen Zeitung“ meldete
sich Uriella dann doch noch einmal zu Wort und stellte folgendes klar:
„Fiat Lux ist ein Orden und keine Sekte. Weder war ich als Uriella
verschwunden noch gab es vor einem Jahr das letzte Lebenszeichen von
mir. In Ibach bin ich Realität und kein Schatten. Abwechselnd bewohne
ich meine Liegenschaften in Lindau, in Oberibach und in
Schwellbrunn/Schweiz. Gelegentlich befinde ich mich auch in unserem
Lichtzentrum in Kärnten. Anlässlich meines 79. Geburtstages am 20.
Februar gab ich telefonisch Interviews mit Radio- und Fernsehsendern in
der Schweiz sowie Zeitungen. Jeden Tag erledige ich ein
16-Stunden-Arbeitsprogramm für die Ordensgemeinschaft. Ebenso habe ich
laufend Kontakt zu einem halben Dutzend meiner engsten
Mitarbeiter/-innen. Ich bin absolut selbstständig. Niemand pflegt
mich.“ [7] Icordo versprach jedenfalls, dass seine Gattin bald „in
alter Frische“ wieder an die Öffentlichkeit treten werde. Man darf also
gespannt sein...
Im
Schatten von „Fiat Lux“ haben sich in den letzten Jahren eine ganze
Anzahl von Gruppen angesiedelt, die allerdings weitaus weniger
konfliktträchtig sind und auch keinen vergleichbaren Medienrummel
auslösten. So befinden sich im Kreis Waldshut, genauer gesagt in
Remetschwiel und Todtmoos-Au, gleich zwei Zentren für tibetischen
Buddhismus. In Remetschwiel betreibt eine „Karma Kagyü Stiftung“ das
Seminarhaus „Bodhi Path“. Es besteht aus drei Bereichen:
„Buddhistisches Zentrum, Gästehaus-Seminarhaus (...) und ein
vermieteter Wohnbereich für Mitarbeiter. Das Projekt befindet sich
weiterhin im Aufbau (...). Es werden Veranstaltungen geplant und
durchgeführt, die sich an Buddhisten gleich wie auch an jede andere
geistig, kulturell oder spirituell interessierte Person wenden. Wir
beabsichtigen den interreligiösen Dialog zu fördern und vor allem
Anregung zu eigener Suche zu geben. Wachstum und auch persönliche
Entfaltung braucht die Begegnung verschiedener geistiger Haltungen.
Respekt und Gegenseitigkeit bedürfen der Verschiedenheit als
gemeinsamer Grundlage. Dies ist das Umfeld unserer Arbeit in
Remetschwiel. Das Angebot an Seminarveranstaltungen ist diesen Zielen
gewidmet und dadurch motiviert. Wir laden dazu ein, das Projekt
‚Seminarhaus Remetschwiel’ als Forum und Ort der Begegnungen sowohl als
Veranstalter wie auch als Besucher zu nutzen. Wirtschaftliche Grundlage
des Projektes sind Spenden, Einnahmen aus Vermietung und
Seminarveranstaltungen. Gäste-Vermietung und Seminarhaus stehen bereits
in vollem Umfang zur Verfügung“, so die Informationen auf der Homepage
des Zentrums. [8] Das reichhaltige Programm besteht im Wesentlichen aus
Einführungen in die Lehre des tibetischen Buddhismus, Meditationen und
die Durchführung religiöser Rituale.
Ganz Ähnliches dürfte man in Todtmoos-Au finden. 1989 erwarb dort die
Organisation „Kagyü Benchen Ling“ ein zweihundert Jahre altes
Bauernhaus, errichtete einen Tempel und erwarb 1995 ein weiteres
Gebäude, das nun als Seminar- und Gästehaus genutzt wird. „Auf dem ca.
4 Hektar großen Gelände befindet sich ein Park mit Wiesen, Gärten,
Waldungen und Bächen, der die Bedürfnisse der Tempelbesucher nach Ruhe,
Meditation und Arbeit in einer natürlichen Umgebung erfüllt“,
verspricht die Homepage. [9] Pikant an den beiden Einrichtungen in
Todtmoos-Au und Remetschwiel ist der Umstand, dass sie zwar beide
derselben Schule des tibetischen Buddhismus – der Kagyü-Tradition –
angehören, sich aber sonst spinnefeind sein dürften. Denn innerhalb
dieser Schule tobt schon ein Jahren ein heftiger Konflikt um die
Rechtmässigkeit des XVII. Karmapas, des Oberhaupts dieser Tradition.
Diesen Titel beanspruchen zwei rivalisierende Tibeter. Während in
Todtmoos-Au jener Karmapa anerkannt wird, der auch den Segen des Dalai
Lama hat, folgt man in Remetschwiel sozusagen dem Konkurrenz-Karmapa.
Der ganze Streit, bei dem es vor allem um sehr viel Geld und die
Verfügungsgewalt über reiche Klöster im Himalaya geht, erinnert sehr an
das christliche Mittelalter mit Papst und Gegenpapst... Gleichwohl
gilt, dass beide Gruppierungen keinesfalls als „Sekte“ bezeichnet
werden können.
Wer
sich nicht für den tibetischen, sondern für den japanischen
Zen-Buddhismus interessiert, wird ebenfalls im Schwarzwald fündig. In
Aitern bei Todtnau existiert ein „Verein Spirituelle Wege e.V. – Zen
und Kontemplation“, der sich um den Zen-Meister und Benediktiner-Mönch
Willigis Jäger gruppiert. 1990 erwarb der Verein den „Sonnenhof“, ein
ehemaliges Landschulheim. [10] Dem Vatikan sind die Praktiken und
Lehren Jägers ein Dorn im Auge, weil Jäger sich vom personalen Gott des
Christentums verabschiedet hat und in Gott nur noch eine Art Energie
sieht. 2002 wurde Jäger deshalb von Rom ein „Bussschweigen“ auferlegt,
an das er sich aber zur Freude seiner Anhänger nicht zu halten gedenkt,
sondern munter weiter Vorträge hält und Kurse leitet.
Ebenfalls dem Zen-Buddhismus verpflichtet ist eine im Vergleich zu den
anderen Zentren relativ alte Einrichtung, die 1951 von Karlfried Graf
Dürckheim gegründete „Existential-psychologische Bildungs- und
Begegnungsstätte Todtmoos-Rütte, Schule für Initiatische Therapie“.
[11] Was passiert dort? Dazu die Homepage: „Die Initiatische Therapie
meint immer zugleich Initiation und Individuation, Erfahrung und
Wandlung. Sie will Menschen in ihrer Suche unterstützen und begleiten.
Sie ist Arbeit am Kern und umfaßt die individuelle Begleitung in
Lebenskrisen. Sie bietet Hilfe bei einer Gestaltung des Lebensweges,
die sich auf die existentielle Dimension des Menschen gründet.
Seelische und psychosomatische Störungen werden in der Initiatischen
Therapie als Anzeiger für Verhinderungen auf dem Weg der Menschwerdung
(Individuation) verstanden. In diesem Sinne steht im Vordergrund der
Arbeit nicht die Beseitigung von Krankheitssymptomen, sondern die
ganzheitliche Heilung des Menschen, die Rückbindung an seinen
immanenten Wesenskern. Diese Aufgabe erfüllt Rütte in einer Atmosphäre
nüchternen Arbeitens und gemeinschaftlicher Geborgenheit mit einer
individuell ausgerichteten seelenkundlichen Praxis.“ [12]
So gibt es eine ganze Anzahl von Gruppen, Zentren und Einrichtungen,
die ich natürlich schon aus Zeitgründen nicht alle näher vorstellen
kann. Zu nennen wären etwa das seit 1992 bestehende
„Lichtquell“-Seminarzentrum in Todtmoos, in dem man allerlei
esoterische Praktiken erlernen kann [13] oder der anthroposophische
Kindergarten und die Waldorf-Schule in Dachsberg-Urberg, die es seit
1985 gibt. [14]
|
Überhaupt
hat sich auf dem Hotzenwald ein regelrechtes anthroposophisches
Netzwerk entwickelt, aus der mehrere Waldorf-Kindergärten und
-Spielgruppen hervorgingen, so in Altenschwand und Albbruck,
Herrischried und Görwihl. Seit 1994 veröffentlichen die
„anthroposophischen Initiativen auf dem Hotzenwald und Umgebung“ ein
Veranstaltungs- und Informationsblatt. „Von Anfang an waren es nicht
weniger als zwanzig verschiedene anthroposophisch orientierte
Einrichtungen, die darin mit Kursen, Vorträgen, Tanz- und
Musikveranstaltungen vertreten sind. Nehmen wir als Beispiel die
traditionsreiche ‚Sonnhalde’, eine Einrichtung für ‚Geist- und
Seelenpflege bedürftige Menschen’ in Görwihl heraus, die mit ihren
Veranstaltungen (hier besonders die Weihnachts- und Fasnachtsspiele)
seit Jahrzehnten viele Besucher nach Görwihl zieht, dann lässt sich in
Bezug auf anthroposophische Initiativen auf dem Hotzenwald schon lange
nicht mehr von einer Randerscheinung sprechen.
Es gibt entsprechende Einrichtungen auch an anderen Orten im Landkreis
Waldshut oder im benachbarten Kreis Lörrach. Denken wir nur an die
große Waldorfschule in Schopfheim, die auch von den Kindern aus dem
Wald besucht wird. Doch ist die Dichte und die Vielzahl der über das
ganze Jahr verteilten Angebote ungewöhnlich groß. Bauernhöfe gehören
ebenfalls in diesen Kreis, die den Bioladen in Görwihl und viele
Privathaushalte direkt beliefern und auf den Wochenmärkten in Murg
(Donnerstag) und Waldshut (Samstag) ihre Stände haben.“ [15] Bei der
Anthroposophie handelt es sich um eine Art neue religiöse Bewegung, die
ihre Wurzeln in der Theosophie des 19. Jahrhunderts hat. Sie ist auch
heute noch untrennbar mit dem Denken ihres Gründers Rudolf Steiner
verbunden. [16] Dies ist insofern nicht ganz unproblematisch, als
Steiners Denken nicht weiterentwickelt wurde und Steiner z.T. Ansichten
hatte, die als rassistisch bezeichnet werden können. [17] Leider
reagieren manche Anthroposophen auf diese Kritik so allergisch, dass
man sich an die Aggressivität von Scientology erinnert fühlt.
„Anders
verhielt sich die holländische Anthroposophische Gesellschaft. Noch
1996 gab sie eine Untersuchung zu Steiners Vorstellungen über Rassen in
Auftrag. Die Wissenschafter waren selbst Anthroposophen und kamen 1998
zu dem Fazit, dass 62 Textstellen aus heutiger Sicht diskriminierend –
ja sogar strafbar sind. Das noch vereinzelt an holländischen
Waldorfschulen bestehende Fach ‚Rassenkunde’ wurde abgeschafft und die
Lehrmittel auf betreffende Aussagen hin überprüft. In Österreich und
Deutschland sah man dagegen keinen Handlungsbedarf.“ [18]
Trotz
dieser problematischen Aspekte der Anthroposophie wäre das Etikett
„Sekte“ sicher keinesfalls angebracht, und auch die allermeisten der
anderen im Schwarzwald existierenden Zentren und Gruppen sind relativ
harmlos. „Relativ harmlos“ bedeutet, dass sich im Einzelfall durchaus
problematische Konstellationen in Form psychischer Abhängigkeit ergeben
können, dennoch wäre es sicher nicht gerechtfertigt, die gerade
genannten Gruppen als „Sekten“ abzustempeln.
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Dennoch
stellt sich natürlich die Frage, warum es ausgerechnet im Schwarzwald
so ein Überangebot an Spiritualität gibt. Die bereits erwähnte Susanne
Stiefel schrieb: „Wo das Leben rau ist und die Natur unbeherrscht,
scheint sich die Sehnsucht nach dem anderen, dem Ursprünglicheren,
leichter stillen zu lassen. ‚Wer von widriger Natur umgeben ist, sucht
Trost im Glauben’, weiß der katholische Sektenbeauftragte Albert Lampe,
‚und viele kommen zur Meditation hierher, weil es einfach schön ist.’
Zwischen Höllental und Himmelreich, zwischen abgeschiedenen Tälern und
lauschigen Weilern ist die Suche nach dem Sinn des Lebens wohl
angenehmer. Manchmal können Erklärungen ganz banal sein.“ [19]
Jedenfalls gibt das Phänomen durchaus auch Einheimischen zu denken:
„Warum die ausgerechnet hierher gezogen sind, ist für uns auch nicht
nachvollziehbar“, meinte der Rickenbacher Bürgermeister in einem
„Südkurier“-Interview. „Das Phänomen gibt es ja im ganzen
Südschwarzwald. Wahrscheinlich kommen diese Menschen, weil wir sehr
tolerant sind, ganz anders übrigens, als man uns üblicherweise
nachsagt. Es hat hier, von den religiösen Salpeterernachfahren
angefangen, immer religiöse Gruppierungen gegeben.“ [20]
Hinzu kommt, dass der Schwarzwald sehr günstig liegt – abgeschieden und
trotzdem gut zu erreichen, nicht allzu weit entfernt von den Flughäfen
in Zürich, Basel-Mulhouse und Stuttgart sowie der wichtigen
Nord-Süd-Achse Karlsruhe-Basel. Ausserdem glaube ich, dass auch die
Nähe zu Freiburg und der Schweiz eine wichtige Rolle spielt. Denn
sowohl in Freiburg als auch in der Schweiz war Esoterisches und
Spirituelles schon immer sehr gefragt und dort findet man im
Schwarzwald einen idealen, ebenso nahen wie idyllischen Rückzugsraum.
Ein Rückzugsraum, in dem Immobilien wie z.B. grosse Schwarzwaldhöfe
schon aufgrund der Krise in der Landwirtschaft mitunter billig zu haben
sind und aufgrund ihres grosszügigen Raumangebots als Seminarhaus oder
Meditationszentrum ideal geeignet sind. Wollte man dies auf
eine Kurzformel bringen, liesse sich sagen: Der Landwirt geht, der
Sinnsucher kommt. Und so hat der Strukturwandel des Schwarzwalds von
einem Raum, indem Landwirtschaft und Tourismus gleichermassen von
Bedeutung waren, zu einem Raum, in dem der Tourismus – und sei es in
Form „spiritueller Wellness“ immer wichtiger wird. Allerdings muss man
auch sagen, dass die Wirtschaft vor Ort nicht in besonders grossem
Masse von diesem spirituellen Tourismus profitieren dürfte – denn
meistens übernachten und verpflegen sich die Sinnsucher in den
Seminarhäusern selbst, sodass die lokale Gastronomie und Hotellerie
nicht übermässig viel an ihnen verdienen dürfte.
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Doch
der Schwarzwald bietet natürlich nicht nur Esoterik und Buddhismus,
sondern weist daneben – wie andere Regionen auch – zahlreiche neue
christliche Gemeinden auf, die zum freikirchlich-evangelikalen Spektrum
zählen. Allein in Waldshut bestehen mit der „Missionsgemeinde“ in der
Gurtweiler Strasse, dem „Zentrum für Christen“ im Auweg und der „Freien
Ev. Christengemeinde“ in der Klingnauer Strasse drei relativ junge
evangelikale Gemeinschaften. Zu diesem Spektrum zählt im Übrigen auch
die „Christliche Schule Hochrhein“ im Ziegelfeld. Eine anschienend
besonders erfolgreiche Gemeindegründung ereignete sich auf dem
Hotzenwald, wo sich in der alten Seidenbandweberei von Segeten eine
„Christliche Gemeinschaft Südschwarzwald“ versammelt und jeden Sonntag
im Schnitt über 150 Gottesdienstbesucher aus der ganzen Region anzieht.
[21]
Dass freikirchlich orientierte Gemeinden an vielen Orten scheinbar wie
Pilze aus dem Boden schiessen, verunsichert viele volkskirchlich
engagierte Christen, die sich in ihren eigenen Gemeinden immer leereren
Kirchenbänken gegenübersehen. Von Besucherzahlen, wie sie die gerade
erwähnte „Christliche Gemeinschaft Südschwarzwald“ betrachtet, kann die
evangelisch-landeskirchliche Pfarrerin der Gemeinde in Görwihl nur
träumen – zu ihr finden gerade einmal 20 Gläubige. [22] Kein Wunder,
dass viele landeskirchliche Christen und Pfarrer die neuen
evangelikalen Gruppierungen und Gemeinden oft mit einer Mischung aus
Argwohn und Neid betrachten: Argwohn, weil ihnen die Frömmigkeit und
Bibeltreue vieler evangelikaler Christen ebenso wenig geheuer ist wie
ihre Ablehnung von Homosexualität und Sex vor der Ehe, mit Neid, weil
es die neuen Gemeinden offenbar mühelos schaffen, die Menschen, und
darunter nicht wenige Jugendliche und junge Erwachsene, mit packenden,
fetzigen Gottesdiensten zu begeistern.
Aber
ist der Eindruck eines hemmungslosen Wachstums
evangelikal-freikirchlicher Gemeinden überhaupt richtig? Für die
Schweiz, deren Strukturen mit unseren halbwegs vergleichbar sein
dürften, liegen dazu interessante soziologische Ergebnisse vor. In der
Schweiz zählen nur rund 2,2 % der Bevölkerung zum evangelikalen
Spektrum, worunter in diesem Fall charismatische, pfingstlerische und
fundamentalistische Gemeinden verstanden werden sollen. [23] Das
evangelikale Milieu in der Schweiz (und wie gesagt wohl auch bei uns)
zeichnet sich durch einige besonders auffällige Merkmale aus: So sind
72,3 % der evangelikalen Christen verheiratet, in den
evangelisch-landeskirchlichen und römisch-katholischen Kirchgemeinden
sind dies nur 52 bzw. 56 %. [24] Besonders fallen die Unterschiede in
den theologischen und ethischen Ansichten aus. Die Aussage „Gott
existiert und hat sich selbst in Jesus Christus geoffenbart“ finden
nahezu 100 % der evangelikalen Christen richtig. In den evangelischen
Landeskirchen sind dies nicht einmal 32 % und auch bei den Katholiken
nur 44 %. [25] Dass die Bibel wörtlich genommen werden müsse, wird (je
nach Gruppierung) von 40-57 % der evangelikalen Schweizer bejaht, bei
Katholiken und Protestanten sind es nicht einmal 10 %. [26] Ganz
drastisch fallen die Differenzen in der Sexualmoral aus: „Sex vor der
Ehe ist immer falsch“ – diese Ansicht teilen zwischen 56 und 88 % der
Evangelikalen, aber nur 6 % der Protestanten und – man höre und staune
– sogar nur 4 % der Katholiken. [27]
Dass das evangelikale Christentum mitunter bei landeskirchlich
orientierten Christen auf Argwohn stösst, hängt neben den rigideren
Moralvorstellungen sicher auch damit zusammen, dass diese Gemeinden
eine klare Ausrichtung auf Mission und Bekehrung aufweisen, den anderen
Gemeinden deren Gläubige also abspenstig machen möchten. So heisst es
etwa bei der „Missionsgemeinde“:
„Als
Missionsgemeinde Waldshut stellen wir uns im besonderen Maße dem
Auftrag Jesu in Matth. 28,19-20 zur Verkündigung der herrlichen
Heilsbotschaft Gottes an alle Menschen. Dabei berufen wir uns in
gleicher Weise auf die Bibel als dem unveränderlichen,
unvergänglichen, geschriebenen Wort Gottes sowie auf Jesus Christus,
den Sohn Gottes, der sich im Leben jedes Gläubigen als
der Auferstandene und Lebendige erfahren läßt. Mit Rat und Tat
wollen wir Suchende zu Christus fahren und Ihnen Hilfestellung im
Aufbau einer lebendigen Vater-Kind-Beziehung zu Gott geben und dies
auch gemeinsam pflegen. Über den Zuspruch der Liebe Gottes hinaus
glauben und beten wir für alle Gläubigen um seelische und körperliche
Heilung, Befreiung. Charakterveränderung und Leben aus Gott. Ziel ist
es, daß die Gläubigen Gottes Gaben, Berufung und Führung in ihrem
Leben erkennen, seine Verheißungen in Anspruch nehmen und sich dem
Reden und Wirken des Heiligen Geistes öffnen und hingeben.“ [28]
Der
starke Akzent vieler evangelikaler Gemeinden auf Mission und Bekehrung
kann bei vielen Aussenstehenden den Eindruck erwecken, sie seien darin
besonders erfolgreich. Die Untersuchung der Evangelikalen in der
Schweiz hat jedoch ergeben, dass die Freikirchen nicht so sehr wachsen,
weil sie besonders erfolgreich missionieren, sondern weil ihre
Gemeindemitglieder oft eine etwas höhere Kinderzahl aufweisen und es
den Gemeinden – ganz im Gegensatz zu den Landeskirchen – weitgehend gut
gelingt, die Jugendlichen bei der Stange zu halten. [29] Anders gesagt:
Evangelikale Christen haben oft nicht nur mehr Kinder als
landeskirchliche Christen, sondern diese Kinder bleiben dem
evangelikalen Milieu meistens treu, während sich viele junge Katholiken
und Protestanten nach der Firmung bzw. Konfirmation von der Kirche
abwenden – und zwar sehr oft ein für allemal.
Evangelikale Freikirchen sind also nicht so sehr erfolgreich, weil sie
besonders effizient Mission betreiben, sondern eher weil ihnen der
Nachwuchs treu bleibt. Möglicherweise ist es aber gerade das, was ihnen
von Seiten manches Landeskirchenchristen den Verdacht einträgt, dass es
sich bei den vielen evangelikalen Gemeinden um sektenähnliche Gebilde
handle. Die Verunsicherung ist – dies zeigen die Anfragen an die
diversen Beratungsstellen – immens. Leider lassen sich jedoch keine
allgemeingültigen Aussagen formulieren, denn zu gross sind die
Unterschiede zwischen den einzelnen evangelikalen Gruppierungen, so
dass jede Gemeinde für sich betrachtet werden muss. Überall dort, wo
ein biblischer Fundamentalismus gepredigt wird, wo Intoleranz und
Engstirnigkeit herrschen, aus der Frohbotschaft des Evangeliums eine
Drohbotschaft wird, eine übertriebene Furcht vor Okkultismus besteht,
mit Verweis auf den biblischen Schöpfungsbericht die Evolutionstheorie
geleugnet wird oder sogar mittels des so genannten „Befreiungsdienstes“
vermeintliche Dämonen ausgetrieben werden, besteht Grund und Anlass zu
grosser Vorsicht.
Dass
evangelikale Gemeinschaften durchaus sektenhafte Züge annehmen können,
zeigte das Wirken des lange in Rickenbach lebenden Predigers Horst
Schaffranek, dessen Gruppe massiv andere Gottesdienste störte und im
Hotzenwald illegal Häuser errichtete, die 1995 von der Polizei geräumt
wurden. Das evangelikale Nachrichtenmagazin „IDEA Spektrum“ schrieb:
„Schaffraneks
Grüppchen trägt sektenhafte Züge. Es ist eine geschlossene
Gesellschaft, zu der nicht einmal die Eltern von Mitgliedern Zutritt
haben. Recht und Gesetz interessiert die Wohngemeinschaft nicht. (…)
Sektenhaft ist auch der Umgang mit Ehemaligen. Wenn jemand die
Schaffranek-Gemeinschaft verläßt, wird er massiv unter Druck gesetzt.
Ein ehemaliger Mitarbeiter berichtet gegenüber IDEA, wie er telefonisch
und durch Haustürbesuche auch noch nach Jahren bedrängt worden sei.
Dabei hätten die ungebetenen Besucher sogar illegal ein Tonband
mitlaufen lassen, um Gesprächsprotokolle anlegen zu können. Erst durch
die herbeigerufene Polizei sei er an dieses Band gekommen. Die Analyse
des Ex-Mitglieds: Auf ungefestigte Persönlichkeiten wirke Schaffraneks
Botschaft wie eine ‚Gehirnwäsche’. Das radikale Glaubensverständnis sei
verbunden mit einem Elitedenken, das zudem keine Kritik an Chef
Schaffranek dulde. ‚Es herrscht ein gewisses Papsttum.’" [30]
Fundamentalismus
ist aber kein ausschliessliches Problem des protestantischen Spektrums,
sondern ist auch im Katholizismus anzutreffen, und genauso wie es
evangelikale Gemeinschaften gibt, existieren auf der anderen Seite so
genannte „katholikale“ Gruppen. Darunter versteht man einen oft
vorkonziliar orientierten Katholizismus, in dem eine ausgeprägte (um
nicht zu sagen: übertriebene) Marienfrömmigkeit und -verehrung
praktiziert wird und eine starke Abwehrhaltung gegen alle
innerkirchlichen Reformversuche seit dem Zweiten Vaticanum eingenommen
wird.
Zu diesem Milieu zählt zweifellos das „Kloster Marienberg“ in Häusern,
das der „Priesterbruderschaft des Hl. Pius X.“ von Marcel Lefebvre
zuzurechnen ist. Die „Priesterbruderschaft des Hl. Pius X.“ entstand
1970 als ablehnende Reaktion auf die Reformen des Zweiten Vatikanischen
Konzils. 1974 erklärte Lefebvre:
„Wir
hängen mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele am katholischen Rom, der
Hüterin des katholischen Glaubens und der für die Erhaltung dieses
Glaubens notwendigen Traditionen, am Ewigen Rom, der Lehrerin der
Weisheit und Wahrheit. Wir lehnen es hingegen ab, und haben es immer
abgelehnt, dem Rom der neo-modernistischen und neo-protestantischen
Tendenz zu folgen, die klar im Zweiten Vatikanischen Konzil und nach
dem Konzil in allen Reformen, die daraus hervorgingen, zum Durchbruch
kamen.“ [31]
Weitere
Einrichtungen der „Traditionalisten“, wie sie auch genannt werden,
befinden sich in Freiburg-Betzenhausen, Rheinhausen bei Lahr, Offenburg
und Schramberg. [32]
Sie sehen: der Schwarzwald bietet nicht nur eine schöne Landschaft,
gute Luft und eine hervorragende Gastronomie, sondern auch für jeden
spirituellen Geschmack scheint etwas dabei zu sein – für den Esoteriker
und Buddhismus-Interessierte ebenso wie für fromme Evangelikale und
traditionalistische Katholiken.
Daher
nochmals die Frage: Ist der Schwarzwald also nicht doch ein
Sekten-Paradies? Ich hoffe, dass durch meine Ausführungen deutlich
wurde, wie gross tatsächlich die Zahl der spirituellen Zirkel, Zentren
und Grüppchen ist, die sich im Schwarzwald niedergelassen haben. Doch
die meisten von ihnen können als relativ harmlos eingestuft werden. Was
„Fiat Lux“ betrifft, dürfte dieses Phänomen spätestens in fünf bis zehn
Jahren der Vergangenheit angehören. Überhaupt ist auf diesem Gebiet
schon deshalb Gelassenheit angesagt, weil viele Gruppen von selbst
wieder verschwinden. Wenig ist so volatil und unbeständig wie der
spirituelle Markt. Die Erregung in Breitenfeld über die „Open Sky
Community“ wäre sicher etwas schwächer ausgefallen, hätte man gewusst,
dass sich die Gruppe bald wieder vom Hochrhein verabschiedet, sie hat
sich inzwischen in der Nähe von Köln ein neues Domizil gesucht.
Gelassenheit ist auch angesagt, wenn es um das Schreckgespenst
Scientology geht: Gerade diese – zu Recht – als höchst problematisch
und gefährlich eingestufte Psycho-Sekte hat im Südbadischen nie Fuss
fassen können. Zwar nimmt sie im Moment in Freiburg einen weiteren
Anlauf dies zu ändern, doch auch er dürfte scheitern. Hollywood ist
eben etwas arg weit weg vom Schwarzwald, und ich muss sagen: dann doch
lieber sanft säuselnde Sinnsucher, die im dunklen Farn nach Zwergen und
Elfen suchen. Seien wir doch tolerant und lassen ihnen ihren Spass!
© Dr. phil. Ch.
Ruch 2007
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Anmerkungen
[1]
Exposé des Films „Mythorama - Sinnsuche und Magie in den Schluchten des
Schwarzwaldes“ (Arbeitstitel).
[2] Ebd.
[3] Sonntag Aktuell, 19.12.2004, S. 3.
[4] Zur Verunglimpfung Haacks und Kuballas siehe die Äusserungen
Icordos in Grandt, Guido und Michael/Bender, Klaus-Martin, „Fiat Lux.
Uriellas Orden“, München 1992, S. 10.
[5] Zitat aus „Der ORDEN FIAT LUX stellt sich vor“, o. O. 1996, S. 1.
[6] BZ, 21.2.2007.
[7] BZ, 10.3.2007.
[8] bodhipath.creativeminds.de/index.php?id=36 (31.3.07).
[9] www.kagyu-benchen-ling.de/ (31.3.2007).
[10] www.spirituelle-wege.de/ (31.3.2007).
[11] www.duerckheim-ruette.de/ (31.3.2007).
[12] Ebd.
[13] www.lichtquell.de (31.3.07).
[14] www.waldorfschule-dachsberg.de/schule.html (31.3.2007).
[15] Joachim Rumpf, „Der Hotzenwald im Wandel“, auf
www.salpeterer.net/Heimatkundliches/Wandel.htm (14.4.07).
[16] Siehe dazu www.relinfo.ch/anthroposophie/info.html.
[17] Siehe dazu
www.infosekta.ch/is5/gruppen/anthroposophie1999.html#vanderLet
(14.4.07).
[18] Ebd.
[19] Sonntag Aktuell, 19.12.2004, S. 3.
[20] SK, 31.12.1993.
[21] AB, 22.4.2006.
[22] Ebd. [23] Jörg Stolz und Olivier Favre, „The Evangelical Milieu:
Defining Criteria and Reproduction across the Generations“, in: „Social
Compass“, 52(2)/2005, S. 169-183, hier S. 171.
[24] Ebd., S. 174f.
[25] Ebd., S. 175.
[26] Ebd. [27] Ebd.
[28]
www.weinberg-hochrhein.de/Gemeinden/Missionsgemeinde/missionsgemeinde.html
(1.4.07).
[29] Stolz und Favre (wie Anm. 17), S. 178ff. [30]
www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/texte/sekte_horst_schaffranek.html
(4.4.07), IDEA Spektrum, Heft 30/1999.
[31] www.fsspx.info/bruderschaft/index.php?show=fsspx
(2.4.07).
[32] www.fsspx.info/zentren/karte.php (2.4.07).
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